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Dissertationsprojekt: Astronautic Bodies. Körpergeschichte der Raumfahrt in den populären Medien des Kalten Krieges, 1945-1990 (Arbeitstitel) (Teilprojekt...)
Als ideologischer System-Antagonismus zwischen den USA und der Sowjetunion sowie ihren jeweiligen Verbündeten zog der Kalte Krieg nicht nur fast die gesamte Welt, sondern auch fast alle Lebens- und Wissensbereiche in seinen Bann. Technologie, Wissenschaft sowie Kultur und Populärkultur waren von diesem Konflikt ebenso betroffen wie Militär und Politik. Als zentraler Austragungsort dieser zumeist als Rüstungs- und Prestigekampf geführten Auseinandersetzung bildete die Raumfahrt, und genauer der Astronaut, einen wesentlichen Ort, über den dieser Konflikt verhandelt wurde und die verschiedenen Wissensbereiche miteinander interagierten. Im Angesicht des politisch wie medial beschworenen Space Race stellte sich dabei die Frage, wie der menschliche Körper auf die enormen Herausforderungen im All – zu denen eben auch ein möglicher Kampf zählte – vorbereitet, trainiert und ausgebildet werden müsse.
Da die lebensunwirkliche Umgebung im Weltraum nicht zuletzt als fast vollständig technologisierter Raum konfiguriert wurde, stellte sich die Frage der (evolutionären) Anpassung des menschlichen Körpers gleich in doppelter Hinsicht: das All war Welt- und Technikraum in einem. Die hieraus abgeleitete Aufeinanderbezogenheit von Mensch und Technik sowie die Interaktion zwischen beiden, brachte in der Folge nicht nur neue anthropologische Konzepte, wie das 1960 erdachte Cyborg-Modell hervor, sondern stand in ebenso direktem Zusammenhang mit der Computerwissenschaft dieser Zeit. Auch Medizin, Biologie, Physiologie, Psychologie und Ernährungswissenschaft arbeiteten mit Hochdruck an der Umgestaltung des menschlichen Körpers für den Weltraum und damit am wissenschaftlichen Kalten Krieg mit. In der Öffentlichkeit verbreiteten und formatierten Populärwissenschaft und Publikumsmedien dieses neue Wissen. Im Austausch mit der Populärkultur entwickelten sich dabei jedoch auch eigene – teils von den offiziellen Entwürfen der Fachwissenschaft abweichende – Entwürfe über den Menschen im All. Science-Fiction-Roman und -Film aber auch Popmusik, Multi-Media-Art und Comic konstruierten dabei ein ebenso spezifisches, wie medial sehr unterschiedlich konfiguriertes Wissen.
Dieses Projekt will sich der Produktion und Zirkulation des Wissens und der diskursiven Modelle über den menschlichen Körper im All zwischen den Bereichen Wissenschaft, Populär- bzw. Publikumswissenschaft und Populärkultur während des Kalten Krieges widmen. Gefragt werden soll danach, wie diese Bereiche je spezifische epistemische (aber eben auch medial verschiedene) Räume konstituierten, um den Weltraum wie den menschlichen Körper selbst als Wissensräume sowie als konkrete Kampfzonen des Kalten Krieges hervorzubringen, zu vermessen und zu definieren. Diese Zirkulations- und Interaktionsprozesse des Raum- und Körperwissens sollen dabei über die Staatengrenzen hinweg zwischen der BRD, Großbritannien und den USA im Entstehen einer ‚westlichen Medienöffentlichkeit’ untersucht werden. Als gemeinsamer Konvergenzpunkt dieser Austauschprozesse wird der Körper des Astronauten hierbei als „Schnittstelle“ bzw. Konfigurations- und Repräsentationsraum gefasst, der im Verlauf der medialen Wissenszirkulationsprozesse räumliche Qualitäten erhält und dabei als Projektionsfläche auch selbst medial strukturiert wird. Es gilt dabei danach zu fragen, welche räumlichen Effekte das All und welche Effekte die Medien auf dem Körper hinterlassen haben und vice versa. Das militärischstrategische Konzept der mutual assured destruction (MAD) sicherte zwar den Frieden, verpflichtete die Supermächte aber zugleich auf die Pattsituation. Um einen Sieg zu erringen, waren beide Seiten letztlich dazu gezwungen, in immer neue Räume auszuweichen. Wie diese als Kampfzonen definiert und schließlich militärisch wie ideologisch beherrscht wurden, soll in diesem Projekt am Beispiel der populären Körper- und Wissensräume der Raumfahrt zwischen 1945 und 1990 nachgezeichnet und beschrieben werden: Welche Rolle spielt die antagonistische Logik des Kalten Krieges bei der Definition dieser Räume in den medialen Zirkulations- und Formatierungsprozessen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit und in welcher Weise sind auch diese Räume und ihre medialen Repräsentationspraktiken selbst von dessen Strukturprinzipien durchdrungen? In welcher Gestalt konvergieren alle diese Räume in dem ideologisch als ‚Westen’ gefassten und massenmedial durchgesetzten Großraum des Kalten Krieges?
Methodisch versteht sich dieses kritisch-genealogische Projekt dabei auch als Beitrag zu einer Archäologie der Gegenwart und will danach fragen, wie viel unsere heutigen Körpermodelle bis heute von der Logik des Kalten Krieges ererbt haben und welche Spuren dieser im All ausgetragene Ideologie- und Wissenskampf in den aktuellen Vorstellungen eines human enhancements oder aber der ökonomischen Assessment-Kultur hinterlassen hat. Als Bestandteil einer Körpergeschichte des Kalten Krieges steht dieses Projekt zum astronautischen Körper dabei zwischen den Disziplinen der Körper-, Wissens-, Medien- und Kulturgeschichte und versucht deren Ansätze mittels der „Schnittstelle“ Astronaut füreinander produktiv zu machen. Gerade wegen ihrer dominanten Präsenz sowohl in Wissenschaft wie Öffentlichkeit eignet sich die Raumfahrt dabei auch dazu, die komplexen Grenzziehungspolitiken zwischen wissenschaftlichem und populärem Wissen und damit die Grenzen der Wissensräume während des Kalten Krieges zu kartieren. Als Grenzbereiche des Wissens gehören Prä-Astronautik, Science-Fiction sowie die ökologisch inspirierte Vorstellung vom „Spaceship Earth“ wie auch die Mond-Kolonisierungs-Utopien damit ebenfalls zum Untersuchungsgegenstand dieses Projekts.
Leitfragen: Welches Wissen entsteht während des Kalten Krieges über den menschlichen Körper im All und wie wird dieses populär? Zwischen welchen Medien und Räume zirkuliert dieses Wissen, wie wird es im Zirkulationsprozess zwischen Wissenschaft und Populärwissenschaft aber auch zwischen der BRD, GB und den USA formatiert? Welche Konzepte ergeben sich aus der Aufeinanderbezogenheit von Körper und Technik und wie muss das (eigentlich das evolutionsbiologische) Modell der „Anpassung“ hierbei neu gedacht werden? Oder allgemeiner: Wie wird der Körper im Weltraum in diesem Prozess selbst zum – medialen und epistemologischen – Konvergenzraum, inwieweit war der Kalte Krieg im Zeitalter der Raumfahrt damit ein Wissenskrieg um Räume und wenn ja, nach welcher Logik wurde dieser geführt?
Keywords: Cold War, Astronautics, History of Knowledge, Body History, Media, Popular Culture
Wissens- und Körpergeschichte des Kalten Krieges, Geschichte der Raumfahrt, Intellektuellengeschichte, Transparenz vs. Privatsphäre, Populärkultur
seit April 2015: co-editor des am Lehrstuhl von Prof. Dr. Philipp Sarasin situierten "foucaultblog" der Universität Zürich foucaultblog